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Die Festrede

Gehalten zum 125jährigen Jubiläum des
Männer-Quartetts 1879 Mainz-Hechtsheim e.V.
anläßlich der akademischen Feier im Bürgerhaus Mainz-Hechtsheim
am 7. Mai 2004
Dr. Anton Maria Keim
Kulturdezernent der Stadt Mainz a.D.


Es ist für mich eine Ehre und Freude, zum 125. Jubiläum diese Festrede halten zu dürfen. Auch ohne Amt, aber aus engen persönlichen und traditionell familiären Bindungen an das Männer-Quartett tue ich dies gerne.

1954 zum 75. Vereinsjubiläum wurde ich unter Nr. 8 im Ehrenausschuss genannt, Nr. 7 war mein Freund und damaliger Chorleiter, der unvergessliche Hans Hilsdorf. Unter den zahlreichen Keims - es "keimt" ja bis heute in dieser Sängergemeinschaft, und ich hoffe, der Verein bleibt nie "keimfrei" - war u.a. auch mein Vater, der Schuhmachermeister Jakob Valentin Keim aus der Strickergasse. Dort ist ja das alljährliche, sympathische Brunnenfest der Sängerfamilie und ihrer Freunde, für mich stets ein Erinnerungstreffen an meine glückliche Kindheit im Schatten der alten Ulme und der Kirche, deren Glocken meinen Tageslauf einläuteten.

1954 berichtete ich in der AZ in einem recht umfangreichen Artikel zum 75. Jubiläum: "Tausend Sänger sangen ein Lied der Freundschaft" in der über-füllten Großen Turnhalle. Die Gemeinde Hechtsheim hatte ihr Festkleid angelegt - mit Fahnen, Girlanden, einem Triumphbogen, in der alten Mundart "Dorschmarscheer" genannt.

1979 war ich als Festredner ausersehen, allerdings mit dem Amtsbonus eines Bürgermeisters und Kulturdezernenten unserer Stadt Mainz. Mein Grußwort und meine Festansprache standen im Zeichen der Gesang- und Musikkultur in Mainz und besonders der Hechtsheimer Stadtteilkultur, die mir mit Büchereien und Vereinen stets besonders am Herzen lag.

Heute - als Rentner, aber doch mit Würde - darf ich das Persönliche stärker betonen, das Ortsgebundene, das Dorfverbundene. Zumal es doch eine Familienanekdote gibt, die mir von Großeltern, Eltern und Althexemern immer mal wieder aufgetischt wurde: Als das Männer-Quartett im Juni 1929 sein 50. Jubelfest feierte, an einem Sonntag, dem 16. Juni 1929, und Punkt ein Uhr mittags eine - so angekündigte - "Massenkundgebung" des hessischen Sängerbundes auf dem Lindenplatz begann, und sich anschließend ein bunter Festzug aller mitfeiernden Vereine durch die Dorfgassen zog, habe mein Großvater Philipp Kettenbach, Mitgründer und aktiver Sänger - 1. Bass - mich kaum einjährigen Knirps auf die Schulter gehoben und in offenbar leichter Weinlaune meinen Eltern und der umgebenden Verwandtschaft zugerufen:
"Guckt emol, des is de kleinste Rappelkopp!"
Ich war dabei - wenn auch ohne Erinnerung.

Mitgründer, Ehrenvorstandsmitglied, bis ans Lebensende singender 1. Bass Philipp Kettenbach steht am Anfang der familiären Tradition. Und manche auch aus der Keim-Sippe kamen dazu - bis heute. Kettenbachs Leidenschaft war der Chorgesang, das Lied in der Gesellschaft und Geselligkeit, - sein "zweiter Wohnsitz" war daher auch die Sängerhalle.

Diese Gründer des Männer-Quartetts waren beileibe keine spießigen Vereins-meier, die den Gesang von Wein und Weib zum kräftigen Schoppen vorschoben. Sie waren im besten Sinne politische Menschen, die dem Dorf und seiner Gesellschaft und Gemeinschaft ein Feld kultureller Selbstdarstellung und Bestätigung anboten.

Und aus der engsten Gründergruppe kamen auch die Gründer der örtlichen sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Und einige von ihnen standen nach dem Bismarckschen Sozialistengesetz im Dalberger Hof beim "Geheimbündeleiprozess" vor Gericht. Und wurden verurteilt und fanden in Butzbach durch gleichgesinnte Aufseher eine Art zweiten Bildungsweg. Anderhub war dabei. Kettenbach ging wegen Berufsverbots nach Prag, wo Sozialisten und Juden ihm Arbeit gaben. Der Gürtler Kettenbach konnte in der Wenzelskapelle des Veitsdomes auf dem Hradschin den großen Gaskandelaber installieren, - er
war - wie seine Freunde immer wieder ironisch witzelten - eben "Sozialist und schwindelfrei".

Es ließe sich aus diesem festlichen Anlass viel Kulturpolitisches, auch Gesellschaftspolitisches - und ganz Aktuelles sagen. Gerade weil trotz aller positiven Erscheinungen, welche die Statistiken offenbaren, im Vergleich mit Spiel und Sport im Freizeitsektor Musik, Gesang, ja allgemein Kultur hierzulande noch immer eine recht untergeordnete Rolle spielen. Roman Herzog hat dies festgestellt und bedauert und betont:
Wer singt oder ein Instrument spielt, erlernt eine zweite Sprache. Er erwirbt einen Lebensrhythmus, der ihm hilft, die eigene Persönlichkeit zu entfalten. Und weiter: Musik- und Gesangvereine seien Treffpunkte für Menschen, die eben nicht nur vor dem Fernseher hocken und dem Verblödungsmechanismus erliegen.

Es lässt sich bei einem solchen festlichen Anlass, der Rückblicke und zeitkritische Bemerkungen provoziert, manches über Singen und Sänger sagen:
- dass Singen die Gesamtpersönlichkeit des Menschen beansprucht und prägt,
- dass musizierende und singende Menschen ihre Freizeit kultivieren,
- dass dies Wege zur selbstbestimmten Freizeit sind - so ja auch das Motto des Männer-Quartetts, das Arbeit und Freizeitsingen ineinander setzt,
- dass Singen in Gemeinschaft ein Schutz vor Vereinsamung ist, weil sich im Gleichklang des Liedes und der Stimmen Freunde finden.

Das Männer-Quartett ist ein Stück Ortsgeschichte - 125 Jahre einer Entwicklung vom Maurer- und Bauerndorf in der Bannmeile der Reichsfestung über eine selbstbewusste Handwerker- und Facharbeiterschaft zu einem explodierenden Stadtteil mit beliebter Wohnlage - wenn die Düsenjets uns ab und an verschonen. Diese Sängergemeinschaft ist eingewoben in die Dorfgeschichte. Sie hat selbst als Kind der sogenannten Gründerjahre den Bismarckstaat erlebt, der Liberale, Katholiken und Sozialisten unter Ausnahmerecht mit Ausgrenzung stellte. Auch die Vereinsgründung war ein kultureller und gesellschaftlicher Protest einer selbstbewußten Facharbeiterschaft gegen das obrigkeitlich - nationale Misstrauen, das immer noch in der Erinnerung an das aufbegehrende Bürgertum des Revolutionsjahres 1848 fortlebte. Bismarcks Sozialistengesetz - im Großherzogtum Hessen-Darmstadt moderat vollzogen - ging ebenso wenig an diesem Verein vorüber wie das nationalistische Großmaulgebaren der wilhelminischen Zeit. Da hießen die Gesangvereine eher "Germania", "Concordia" .......
Das Männer-Quartett verschrieb sich dem volksnahen Lied, dem Volkslied.

Zwei Weltkriege forderten Blutzoll. Der Nazistaat forderte "Gleichschaltung" und "Führerprinzip" im Vorstand. Und 1929 beim Jubelfest war noch im Ehrenkomitee der "israelische Bürgermeister Julius Weiß", der im KZ Maidanek ermordet wurde.

Nach jedem Krieg ging von den Konzerten und Theaterspielen Trost und Hoffnung aus - und neue Pflege der Dorfgemeinschaft.

Der Schriftsteller Martin Walser, mit dem ich bis zu seiner umstrittenen Rede in der Frankfurter Paulskirche befreundet war - was dem Rathaus manche preiswerte Autorenlesung einbrachte - hat in seiner Autobiographie gesagt: "In einem Dorf ist alles wichtig".
Und er meint damit: überschaubar, transparent in der kleinen Gesellschaft.
Da entgeht nichts der Öffentlichkeit - und ein Gesangverein ist ein dörflicher Mikrokosmos. Nichts bleibt verborgen: kein Gespusi, kein Techtelmechtel, keine Schwangerschaft.

Das Kirchenjahr mit seinen Festen organisierte den Jahresablauf auch mit öffentlichen Feiern - und die Sänger waren ein Teil des Veranstaltungskalenders. Natürlich war die örtliche Welt in Klassen eingeteilt. Das galt auch für die Soziologie der Gesangvereine. Es gab reiche und arme, besitzende und "geringe" Leut' ohne "Äcker, Geld und Sach", wie man sagte. Da gab es die singenden "Bauern", die sich allmählich öffneten, das sich abhebende neue "Männer-Quartett", und dann die "Harmonie" und den "Vorwärts", dessen Name programmatisch in eine sozialdemokratische Zukunft wies. Die Vereinsschranken gingen bis in die Heiraten.

Selbst der Kirchenpatron Pankratius konnte die Klassengegensätze, die Unterschiede nicht überwinden. Und wehe, einer von den kleinen Leuten wagte es, einen feurigen Blick auf eine Bauerntochter zu werfen. Auch beim Heiraten musste der Schuster bei seinen Leisten bleiben.

In der Kirche freilich sangen alle - seit dem achtzehnten Jahrhundert sogar in einem Kirchenchor. Aber unter dem wachsamen Auge des Klerus war das ein anderes Liedgut als das der neuen Singvereine: Trinken, Küssen und die heimliche Liebe hinterm Holderstrauch galt als sündhaft und war als böse verpönt. Nun, die jungen Sänger - lange vor den Sängerinnen - Singen im Verein war lange Männersache - nahmen das augenzwinkernd zur Kenntnis und die Alten verstanden es .... Schließlich drohte der inquisitorische Beichtspiegel mindestens den mehrheitlichen Katholiken mit dem beginnen-den Bekenntnis: " habe ich ----------".

Das Vereinsleben ist heute friedlich und harmonisch, auch weil der Zugang der Jungen geringer geworden ist.

Mit dem Wirtschaftswunder nahmen die Kabarettisten die Gesangvereine ironisch und spöttisch aufs Korn. Dabei sägten sie am Aste der Gemeinschaft. Die Pflege der Radiosender vergaß allmählich seit den Siebzigern den Chorgesangs. Lange waren Sendungen wie "Stunde des Chorgesangs" und "Chöre der Heimat" beliebt bei den Hörern und galten als Selbstdarstellung einer vielfältigen Musiklandschaft. Das Ende ist bedauerlich.

Und als Mitte der siebziger Jahre Jockel Fuchs ein finanzielles Förderprogramm für die Gesangvereine im Stadtbereich anregte und bei passabler Finanzlage auch realisierte, gab es quer durch die drei Fraktionen verständnislose Verwunderung. Dabei wollte er nur klar machen: "Vereinspflege" - eine zwar freiwillige, aber wichtige kommunale Aufgabe, endet nicht beim Sport.

Als ich kurz nach dem Ende des kommunistischen Jugoslawiens bei einer großen Jubiläumsfeier in der Partnerstadt Zagreb unsere Stadt vertreten durfte, lud der Stadtpräsident beim festlichen Menü in der Oberstadt überraschend einen jungen Chor ein und begrüßte ihn mit der Bemerkung, sie sängen Lieder des kroatischen Volkes, die jahrzehntelang verboten waren. Er meinte: wenn man den Menschen ihre Volkslieder nimmt, nimmt man ihnen die Seele.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1987 schrieb mir der Komponist, den die Nazis aus seinem Amt als Direktor des Mainzer Peter-Cornelius-Konservatoriums in die Emigration jagten, Hans Gal, als ich ihm einen Mainzer Hochschulchor als Botschaft der von ihm immer noch geliebten Stadt nach Edinburgh schickte:

"Lieber, sehr geehrter Herr Bürgermeister,
soeben hatten wir einen sehr willkommenen, unbeschreiblich eindrucksvollen Besuch Ihrer Mainzer jungen Studenten, die ganz prächtig gesungen und mir eine große Freude bereitet haben.
.....Ich fand es rührend ...... Ich freute mich innigst darüber, dass der Chorgesang immer noch auf der alten, technisch und musikalisch mustergültigen Höhe steht.....".

Gesang als Botschaft,
Singen als Brückenschlag.

Robert Schumann:
Höre fleißig auf alle Volkslieder. Sie sind eine Fundgrube der schönsten Melodien und öffnen dir den Blick in den Charakter der verschiedenen Völker.

Man muss ja nicht übertreiben, wie mein Freund Prälat Walter Seidel bei einer Predigt im Mainzer Dom für 50 Jahre Sängerkreis Mainz, 1999, --- als er meinte:
Wer singt, kommt in den Himmel.

Ich denke, das hat nach dieser Jubelfeier noch geraume Zeit.

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